das Gesicht des menschen und physiognomik

das ist eine überarbeitete Version von meinem essay für einen wettbewerb (Juli 2022).. der anfang wurde damals mit dem ziel verfasst, den westlichen, säkularisierten und politisch korrekten Menschen (aka die ‘Jury’) auf meine Meinung vorzubereiten

„Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom menschlichen Gesicht“

-Georg Christoph Lichtenberg

Über die Zeit hat sich eine Art idealer Mensch, natürlich abhängig von den jeweiligen kulturellen Umständen – gehen wir hier von denen des Westens aus – gebildet. Er urteilt nicht, er ist souverän. Er ist unvoreingenommen, denn jeder ist gleich. Toleranz, Akzeptanz. Es sind Werte, die zu Idealen werden, nicht unbedingt gesellschaftlich, sondern in erster Linie ein Ideal, vor welches wir uns selbst stellen; um uns unsere Kompetenz und Menschlichkeit zu beweisen. Ich möchte hier keinesfalls in eine kritisierende oder gar negative Haltung verfallen; es ist gut und wichtig, dass wir Menschen an den genannten Aspekten arbeiten. Es ist bloß eine andere Seite, welche ich beleuchten will.

Wir Menschen scheinen oft das Tier, welches einen wesentlichen Teil von uns einnimmt, nicht gerne zu sehen. Gewiss verständlich – unser herausragendes Bewusstsein, Kompetenzen, die kein anderes Lebewesen so aufweisen kann wie wir, rationales Denken, all diese Dinge machen uns zum Menschen und beweisen unsere Exzellenz und präzise Selbstkontrolle. Wir sind keine Tiere und können folglich unsere Verhaltensweisen und Einflüsse regulieren, kontrollieren, nachvollziehen.. ist dem wirklich so?

Ich denke oft vergessen wir, dass unsere Instinkte, unser Unterbewusstsein, gar die Einstellungen, die unserem humanen Wesen schon bei seiner Geburt einprogrammiert sind, Glieder unserer Existenz darstellen, denen wir nicht entweichen können. Sie sind da, ohne dass wir uns für sie entschieden haben und doch bestimmen sie zum Teil unsere Verhaltensweisen, ja, fast wie bei einem Tier, welches den Gerüchen folgt, die ihm angenehm sind, ohne sich darüber bewusst zu sein. Man kann es in einigen Fällen auch Intuition nennen, obgleich es viele Menschen gibt, welche diese nicht greifbare und doch mächtige Fähigkeit unseres Menschengeschlechts zu verneinen und leugnen mögen.

Und so finden wir Gefallen daran, unser Selbst auf eine Weise darzustellen, welche unsere enorme Autonomie, Selbstbestimmtheit, Freiheit mit schönen bunten Lichtern beleuchtet und beschmückt. Zu zeigen, was uns zu dem revolutionären Wesen macht, was sich dem Tier so sehr unterscheidet und offensichtlich zu viel mehr fähig ist.

In Vergessenheit ist geraten, wie oft wir doch auf unsere Instinkte und Sinne angewiesen sind; nicht nur im Lichte des Überlebens, sondern auch in dem des menschlichen Austausches, in unseren Interaktionen und unserem Verhalten. Ich denke, es ist weniger verwerflich, als dieser Satz für viele zu klingen vermag, denn ich wage zu behaupten, dass dies in unserer Natur liegt und völlig normal ist. Wir schauen einen Menschen an und anfangs bleibt unsere Aufmerksamkeit bei den Äußerlichkeiten einer Person. Es erzählt uns viel und wir synthetisieren unser Urteil, unsere Meinung, unser Bild. Es ist ein wenig, als läse man ein Buch und notierte den Inhalt; die Wörter und das Blatt, auf dem sie gedruckt sind, scheinen so monoton und physisch, doch erzählen sie oft von bunten und lebendigen Farben. Ich denke, so ist es auch bei dem Menschen, er erzählt häufig, ohne den Mund öffnen zu müssen – denn das menschliche Gesicht des Individuums erzählt einem ohne von Worten Gebrauch zu machen.

Das Gesicht einer Person, was genau stellt es für uns dar? Mein Gesicht, bin das ich? Genauso wie mein Name, beschreibt dieser mich oder dient er lediglich als eine Etikette für meine Existenz? Ist die biologisch vorteilhafte Anordnung von Sinnesorganen welches auf meinem Halse steht nicht mehr als ebendiese? Erzählt es von Essenzen, von Gemütern, Wahrheit und Wesen?

Das Gesicht lässt sich wahrhaftig lesen und anhand seiner Äußerlichkeiten deuten – Wie gleicht sich das Alter des Gesichts mit dem Alter des Menschens ab? Ist die Person geschminkt, ist sie naturell? Darüber hinaus verraten meiner Meinung nach auch unsere Gesichtszüge an sich sowie die Anordnung dieser wesentliches über den Menschen, dem das Gesicht angehört. Mir hat es mit etwa 14 Jahren angefangen aufzufallen, wie mir intuitiv und mit einer Art transzendentem und nicht ganz logischen Verständnis Gesichtszüge auffallen; was Leute mit gesenkten Lippen gemeinsam haben, sowie Leute mit kleinen oder großen Mündern, große oder kleine Stirnen, ausgeprägten oder weniger ausgeprägten Wangenknochen… Hierbei geht es in keinem Falle um Ästhetische Bewertungen, Schönheit spielt hierbei keine Rolle. Ich habe hier nicht die Intention, alle verschiedene potentielle Ausprägungen aufzulisten und zu deuten; ich möchte jedoch deutlich machen, dass ich der Überzeugung bin, dass Physiognomik im Betrachten des menschlichen Gesichtes eine bedeutende Rolle spielt. Ich erinnere mich an den Austausch mit anderen Jugendlichen, welche über das gleiche Thema wie ich – das menschliche Gesicht – Essays verfasst haben. Sobald ich den Begriff der Physiognomik in das Gespräch brachte, merkte ich sofort die Abneigung meiner Diskutanten gegenüber meiner Meinung. Sie vertraten die Anschauung, es seie rassistisch und hätte keinen Bezug zur Realität. Damals frustrierte es mich sehr, denn es fiel mir schwer, meine auf Erfahrung und von so realem, starkem, inneren Gefühl bestimmte Meinung in den Eindrücken meiner Mitmenschen reflektiert zu sehen. Nun habe ich festgestellt, dass die Phsyiognomik in der Zohar, der bedeutendsten Schrift der Kabbala, der jüdischen Mystik, besprochen wird. Natürlich bedeutet dies nicht, dass ich die ultimative Wahrheit in mir trage, ich möchte jedoch zeigen, dass Fragmente meines Eindruckes und meiner Deutung des menschlichen Gesichts bereits im späten 13 Jahrhundert aufgegriffen wurden, andere Menschen diese Auffassung teilen und darüber schrieben. Dieses Thema ist sehr umfassend, weshalb ich hier nicht weiter darauf eingehen werde.

Ich möchte hier den Punkt betonen, dass G’tt jedes unserer Gesichter komplett individuell schafft – keiner sieht aus wie man selbst. Dein Gesicht ist dein Gesicht, niemand teilt es mit dir – ganz allein du trägst es unter all den Milliarden von Menschen auf dieser Welt. Es beweist nicht nur die Einzigartigkeit und Unendlichkeit von G’ttes Macht und Schöpfung, sondern auch, wie sehr das Gesicht der Ausdruck oder eine Art Spiegel unseres einzigartigen Inneren ist. Ich finde dieses Thema äußerst faszinierend – was ist G’ttes Intention bei der Schöpfung des Gesichtes, wieso sind unsere Gesichter so phänomenal und faszinierend, wie verbindet es das physische mit dem nicht physischen?

Das Gesicht- wir können es als eine Bühne betrachten, auf der wir das Selbst aufführen – dabei entscheiden wir uns zu keinem Zeitpunktes unseres Lebens dafür, wir haben keine andere Wahl. Es ist eine der Formen unseres körperlichen Ausdrucks, eine jenes, welche dafür keine Aktivität erfordert, sondern teilnahmslos offenbart und erzählt. Und erstaunlicherweise schwebt das Gesicht offensichtlich auf der grobstofflichen Ebene, die Nachrichten die es vermittelt gehen jedoch auf die feinstoffliche über. Angefangen auf der visuellen Ebene: wir erkennen eine Hautfarbe, Gesichtszüge und -formen wie auch ihre Anordnung beziehungsweise Symmetrie oder Asymmetrie sowie Haar- und Augenfarben, die uns kulturelle Hintergründe erklären. Damit einher folgt eine Subjektive Bewertung: hässlich, schön, vielleicht bin ich Rassist und kategorisiere oder habe Vorlieben und favorisiere. Die Anatomie des Gesichts ist hier jedoch bei weitem nicht alles. Wenn wir nämlich keine Leiche sind und somit unser Gesicht in Aktion ist, nimmt es Formen und Ausdrücke an. Mimik und ferner auch Gestik kommunizieren auch nonverbal und stellen so eine zwischenmenschliche Verständigung dar; Sympathie oder Antipathie, Vertrauen und Misstrauen werden vermittelt, Ekel und Genuss, Wut, Trauer, Nähe, Distanz, das ganze Spektrum des Theaters der menschlichen Emotionen spielt sich auf dem Gesicht ab. Es kann verraten, liegt nicht immer unter gänzlicher Kontrolle und zeigt oft mehr, als wir wollen, selbst unsere Worte können uns dabei nicht helfen, da unser Gesicht ein Leiter des Gemüts ist, ihm wie eine Bühne Fläche für das Schauspiel unserer Emotionen und Eindrücke ist.

Mit der bewussten Kontrolle dieses Ausdrucks repräsentieren und bewahren wir unsere Persona; das Gesicht zeigt Expression und zeigt Geschichte, kann lügen und verbergen und lernt durch leben, wie es sich zu zeigen hat und will.

Dieser Aspekt hat meines Erachtens ebenfalls einen großen Einfluss in der Entwicklung des Menschen im Kindesalter. Man lernt das Lesen der Mimik der umgebenden Menschen und erfasst somit Grundlagen des Austausches mit anderen Individuen, Verständnis und Entzifferung von Zeichen, die dazu informieren. Ein Hilfsmittel zur Orientierung zwischen all den Menschen, denen wir tagtäglich begegnen und in Interaktion treten. Entnimmt man den vollen Zugriff auf das visuelle Verfügen anderer Gesichter, kann dies intensive Folgen mit sich tragen; zum Beispiel die Masken, welche infolge der Corona Pandemie verpflichtend in öffentlichen Räumen und teilweise auch darüber hinaus getragen werden mussten. Die Fähigkeit zum Lesen der Mimik von Anderen, bedingt durch das Tragen der Maske und somit der Verdeckung des Mund- und Nasenbereiches, ist beeinträchtigt worden – Studien berichten ebenfalls von psychischen Symptomen wie Ängste oder Stresserleben. Dies zeigt also sehr realitätsnah, wie wichtig das Gesicht anderer für uns Menschen ist.

Doch ist das Gesicht nicht bloß ein Träger von Bedeutung und Vermittlung, sondern auch eine Fläche für Unterhaltung; Kunst, Theater, die Maske. Die Bemalung des Gesichtes, beispielsweise, abgesehen von ihren weit zurück liegenden kulturellen Wurzeln, ermöglicht eine Grund auf neue, temporäre Auffassung von dem Ich. Gesichtszüge lassen sich ändern, Fantasie nimmt ihren Lauf, Personä werden getauscht und eingenommen. Dies macht uns so Spaß, wie verkleiden es tut: wir haben die Möglichkeit, Facetten zu erproben, welche wir im Alltag zu wenig oder aus verschiedenen Gründen gar nicht ausleben können. Eben weil unser Gesicht, wie bereits erwähnt, unsere Schaufläche ist, unterhält es uns selbst enorm, verschiedene Formen und Ausdrücke anzunehmen. Unsere gewohnte Geschichte wird zu einer neuen und wir finden Spaß und Begeisterung an der Abwechslung. So ermöglicht auch das Theater eine nicht an den Schauspieler angebundene Rollenübernahme, der Schauspieler erzählt nicht von sich, sondern modifiziert sich auf solch eine Art, die ihn von der gewünschten Rolle erzählen lässt. Unsere Fantasie ist häufig die größte Unterhaltung liefernde Einheit und in solchen Formen nimmt sie ihren Lauf. Wir gehen in den Zirkus, um uns weinende Clowns anzuschauen und auch in Zeiten von Königen hatten diese auffällig bemalte und bekleidete Narren auf ihrem Hofe, zum Zwecke der Unterhaltung.

Wann immer wir in das Gesicht eines anderen blicken, sehen wir das gleiche, wie in unserem. Es verfügt über dieselben Glieder, Eigenschaften, Funktionen. Und doch ist es nicht ganz genau dasselbe, wir sehen, dass wir Menschen gleich, dennoch ausgesprochen anders sind.

aus: der Seewolf, Jack London

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